// Bericht der Heidelberger Adenauer-Tage 2020
100 Jahre Weimarer Verfassung, 70 Jahre Bonner Grundgesetz und 30 Jahre friedliche Revolution in Berlin – mit diesen historisch und demokratisch wichtigen Meilensteinen befassten sich 160 Stipendiaten und Altstipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung* bei den diesjährigen Heidelberger Adenauer-Tagen (HAT). Die Adenauer-Tage fanden im Oktober 2019 bereits zum zweiten Mal statt und verstehen sich als Forum für politische Diskussion und Bildung, Plattform für Karriereförderung und Berufsorientierung sowie Netzwerktagung. Das Konzept beruht auf einer Initiative von Heidelberger Stipendiaten und wurde auch in diesem Jahr von einem deutschlandweit verteilten, stipendiatischen Organisationsteam in die Tat umgesetzt.
Den Auftakt der viertägigen Veranstaltung machte Christian Wulff, Bundespräsident a.D. und Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, mit seiner Eröffnungsrede zum Thema „Wie wahren wir die Einheit?“. Als Überraschung für die Teilnehmer fand die Rede im Rahmen einer Neckarrundfahrt auf einem Boot der Weißen Flotte Heidelberg statt. Während der Fahrt über den Neckar ging Herr Wulff auf die für ihn zentralen Elemente unserer Gesellschaft - Zusammenhalt, Zivilcourage und Zuversicht - ein und erklärte, warum diese entscheidend für eine sichere und lebenswerte Zukunft seien. Mit Beispielen aus seinem eigenen politischen und gesellschaftlichen Engagement, vor allem im Rahmen der Integration und des interkulturellen Austausches, ermutigte er die Anwesenden, durch eigenes Handeln die Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland zu stärken. Dabei könne, so Wulff, die deutsche Geschichte der Demokratie mit ihrer langen Tradition als Vorbild dienen, während ihre Tiefen und Negativbeispiele eine Lehre sein sollten. Im Anschluss an den Vortrag blieb Zeit für eine offene und angeregte Diskussion mit den Teilnehmern, die auch noch nach dem Vortrag die Gelegenheit für ein persönliches Gespräch mit Christian Wulff nutzten.
An den Eröffnungsvortrag anknüpfend stand der Freitagvormittag ganz im Fokus der deutschen Demokratiegeschichte. Im Rahmen von drei Keynotes beleuchteten Prof. Dreyer, Prof. Münch und Frau Neubert drei zentrale Kapitel:
Professor Dr. Michael Dreyer, der Ende Juli 2019 das Haus der Weimarer Republik eröffnet hatte, stellte die Weimarer Republik als erste deutsche parlamentarische Demokratie vor. Ausgehandelt wurde die Weimarer Reichsverfassung in 175 Tagen, und dauerte damit nur vier Tage länger als die Koalitionsbildung 2017/18. Sie war innovativ und demokratisch, etwa mit dem Wahlrecht für Frauen, Soldaten und Arme oder der Proklamation von Grundrechten, inklusive der Gleichberechtigung der Geschlechter in der Ehe. Viele Aspekte, die wir im heutigen Grundgesetz als neu und besonders ansehen, wurden schon im Rahmen der Weimarer Verfassung eingeführt.
Dass sich das 1949 verabschiedete „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“ ausdrücklich an die Nachkriegsgesellschaft richtete, betonte Professorin Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing. In ihrem Vortrag ging sie auf das Bonner Grundgesetz ein, das zweite, zentrale Kapitel der deutschen Demokratiegeschichte. Während der erste Artikel der Weimarer Reichsverfassung noch die republikanisch-demokratische Staatsform als wichtige, neue Errungenschaft unterstrich, wird im Artikel 1 des Grundgesetzes – als Reaktion auf das vorhergehende Schreckensregime des Nationalsozialismus – die Würde des Menschen als höchstes Gut hervorgehoben. Aufgrund der „Ewigkeitsgarantie“ (Artikel 79 Grundgesetz) und dem damit gesicherten Erhalt des föderativen Systems konnte das ursprünglich als Provisorium gedachte Grundgesetz den Mauerfall und die deutsche Wiedervereinigung miterleben überleben und festigt somit bis heute die Demokratie in Deutschland.
Als eine der Mitbegründerinnen des „Demokratischen Aufbruchs" sprach Hildigund Neubert, stellvertretende Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, in einem emotionalen Vortrag über die Genese einer gemeinsamen Berliner Republik nach den Umwälzungen in der DDR Ende der neunziger Jahre. Den damals häufig genutzten Begriff des „Volkes“ führte sie auf biblische Zeugnisse vom Gottesvolk zurück. Die „Wir sind das Volk!“-Rufe von 1989 zeugen für sie von der Abwesenheit einer Volkssouveränität in einem Unrechtsstaat. Als ehemalige Stasi-Unterlagen-Beauftragte des Landes Thüringen wandte sich Neubert zudem sehr persönlich gegen die drohende Auflösung der Gauck/Birthler/Jahn-Behörde auf Bundesebene. Glaubwürdig könnten die Politik und der Staat den Bürgern heute nur gegenübertreten, wenn sie offensiv mit der Vergangenheit umgingen.
Der thematische Teil der Heidelberger Adenauer-Tage 2019 wurde durch die Podiumsdiskussion zum Thema „Deutschland. Das nächste Kapitel?“ am Samstag in der Alten Aula der Universität Heidelberg abgerundet. Die Diskussion zu Status Quo und Ausblick hinsichtlich der Demokratie in Deutschland wurde von Susanne Hornberger, Chefredakteurin der Münchner Kirchenzeitung und Leiterin der Printredaktion des Sankt Michaelbundes geleitet. Unter ihrer Moderation bezogen zunächst die beiden Hauptdiskutanten Dr. Dietmar Preißler, Sammlungsdirektor der Stiftung Haus der Geschichte, und Professorin Dr. Christa Tobler, Professorin für das Recht der Europäischen Integration und Europarecht, Stellung zur Frage, ob Europa Deutschlands nächstes Kapitel sein könnte. Professorin Tobler konnte durch ihren Lebensmittelpunkt in Basel einen außereuropäischen Blickwinkel auf die Frage geben und sah mit ihrem europarechtlichen Hintergrund vor allem gemeinsame rechtliche Grundlagen - wie aktuell beispielsweise beim Brexit - als entscheidendes Fundament für eine Zukunft Europas. Preißler betonte in seinem Statement vor allem die Facetten des „Deutschseins“ und des deutschen Selbstverständnisses als Grundlage für eine Weiterentwicklung Deutschlands in Europa. Besonders in Erinnerung blieb seine offene Frage nach fassbaren Erinnerungsorten und Assoziationen mit dem Grundgesetz.
Nach den Eingangsstatements wurde das Gespräch durch zwei „Hot Chairs“ für wechselnde Diskutanten aus dem Publikum geöffnet. Es stand dabei allen Stipendiaten und Altstipendiaten offen, sich auf dem Podium durch Fragen oder eigene Positionierung an der Diskussion zu beteiligen. Dabei standen punktuell die deutsche Identität, Deutschlands Rolle in Europa, sowie Brüssel als nächstes mögliches „Kapitel“ nach Weimar, Bonn und Berlin zur Diskussion. Das Schlusswort der beiden Hauptdiskutanten bestand aus konkreten Handlungsvorschlägen für eine Stärkung der Beziehung „Berlin – Brüssel“. Für Tobler standen die interkulturelle Kommunikation und der Austausch mit Menschen möglichst verschiedener Hintergründe und Meinungen im Vordergrund. Preißler regte an, sich mit Erinnerungsorten und Assoziationen deutscher Identität auseinanderzusetzen und nach Möglichkeit den ersten prägenden Roman über das deutsche Grundgesetz zu schreiben – seiner Meinung nach sollte der Verfassungsstolz nicht nur anderen Nationen überlassen werden.
Die Säule „Ehrenamt und Beruf“ fand am Freitagnachmittag durch verschiedene Workshops und eine Messe für Ehrenamt und Engagement Berücksichtigung. Dabei stellten sich unter anderem die Sponsoren und Partner der Heidelberger Adenauer-Tage vor. Hogan Lovells, als eine der führenden internationalen Anwaltssozietäten, bot einen Workshop an, der gezielt auf interessierte angehende Juristen zugeschnittenen war. MLP erläuterte im Rahmen eines Bewerbertrainings Chancen und Stolpersteine im Bewerbungsprozess. Das European Personnel Selection Office (EPSO) gab einen Überblick über Karrieremöglichkeiten bei den Europäischen Institutionen und auch die Firma MAS Consult AG stellte ihre Arbeits- und Karrieremöglichkeiten vor. Teach First Deutschland GmbH beleuchtete ebenfalls ein Karrierethema und stellte in seinem Workshop die nötigen Kompetenzen für Führungskräfte der Zukunft dar. Die Teilnehmer des Workshops der My Tomorrow Company beschäftigten sich mit den Grundlagen der Kryptowährungen und der Stipendiatenbeirat sowie der Verein der Altstipendiaten (ASeV) nutzten die Möglichkeit, sich selbst und ihre unterschiedlichen Initiativen vorzustellen. Darüber hinaus gab es auf der Messe eine Reihe an weiteren Ständen, die von Teilnehmern der Tagung betreut wurden. Mit viel Elan stellten sie ihr Ehrenamt und Engagement vor mit dem Ziel, neue, interessierte Mitstreiter unter den Konstipendiaten und Altstipendiaten zu finden. Vertreten waren unter anderem die Senkrechtstarter als Projekt der Stipendiaten und Altstipendiaten zur Förderung von angehenden Erstakademikern und angehenden Studierenden mit Zuwanderungsgeschichte.
Abgerundet wurden die Adenauer-Tage mit der optionalen Teilnahme am Festakt im Schlosshotel Molkenkur über den Dächern der Stadt Heidelberg. Die Band „Primetime“ sorgte wie bereits in den vergangenen Jahren für sehr gute Stimmung, zu der ausgelassen bis in die frühen Morgenstunden getanzt wurde. Am Sonntagmorgen gab es für alle Musikbegeisterten als besonderes Schmankerl noch die Möglichkeit, das Abschlusskonzert der KAS Big Band zu besuchen. Für viele Teilnehmer war dies ein sehr gelungener Abschluss der Tagung.
Das Organisationsteam möchte sich bei allen Teilnehmern der Heidelberger Adenauer-Tage, den Referenten sowie all unseren Sponsoren und Partnern bedanken. Unser besonderer Dank gilt auch der Universität Heidelberg sowie der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem ASeV.
Das Organisationsteam ist bereits fleißig mit den Vorbereitungen für die nächste Tagung beschäftigt. Ihr könnt euch schon heute den 1. – 4. Oktober 2020 im Kalender markieren und gespannt sein, was euch erwarten wird! So viel sei verraten: wir werden uns unter dem Motto #hattalent mit verschiedenen Aspekten von Begabung beschäftigen.
* Zu Gunsten der Lesbarkeit wurde nur die männliche Form verwendet. Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.
// Autorinnen: Dieser Artikel wurde vom Organisationsteam der Heidelberger Adenauer-Tage, insbesondere dabei von Friederike Dierkes und Clara Keller, verfasst. Friederike ist Altstipendiatin und arbeitet als Ärztin in der Schweiz. Clara ist KAS-Stipendiatin in Hamburg und studiert dort Psychologie im Master. Beide haben gemeinsam mit 15 weiteren Stipendiaten und Altstipendiaten die diesjährigen Heidelberger Adenauer-Tage organisiert.
// Fotos: Heidelberger Adenauer-Tage e.V.