Freiwilligendienst von “Offenes Herz”
Als Freiwilliger des katholischen Hilfswerks “Offenes Herz” (frz. Points Coeur) (www.offenesherz.de) bricht man auf, um für 14-24 Monate “im Herzen benachteiligter Viertel auf der ganzen Welt im Dienst der Verlassensten - vor allem der Kinder - zu leben.”
Der Kampf gegen einzelne Ursachen von Leiden vermag nicht alles Leid aus der Welt zu schaffen. Das tiefste Leiden der Menschen ist die Verlassenheit. So wie Gesundheit und Wohlstand ohne einen liebenden Menschen an der Seite ihren Wert verlieren, bekommen Armut und Krankheit ihren absurden Charakter erst dadurch, dass man ihnen allein gegenübersteht. Diese Erfahrung des Leidens an sich verlangt nach einer angemessenen Antwort.
Die Freiwilligen von “Offenes Herz” sehen ihre Mission darin, eine Antwort auf diesen “Schrei” nach einer Gegenwart zu geben: durch ihre Freundschaft und durch die einfache Gabe ihrer Zeit. 4-6 Jugendliche aus aller Welt leben in einem normalen Haus im Viertel als Nachbarn derer, die leiden – “um ihnen ein Zufluchtsort der Freundschaft und des Trostes zu sein”.
Geprägt wird das Leben im Offenes Herz-Haus zuerst von der Freundschaft mit den Menschen, die dort täglich vorbeikommen: ob zum Spielen, auf eine Tasse Kaffee oder einfach nur, um ein offenes Ohr zu finden. Weitere Grundpfeiler der Offenes Herz-Erfahrung sind das Leben in Gemeinschaft mit den anderen Freiwilligen (oft herausfordernd und immer bereichernd!), sowie ein intensiver Gebetsrhythmus, Ruhe- und Quellpunkt dieser Mission der Nächstenliebe.
Mein Einsatz in El Salvador
Im Oktober 2017 - nach meinem Physik-Bachelor – brach ich für einige Monate mit dem Freiwilligendienst „Offenes Herz“ auf nach El Salvador (Zentralamerika). Mit fünf weiteren Freiwilligen (aus Brasilien, Argentinien, Frankreich und Polen) wohnte ich im Herzen eines Armenviertels von San Salvador in einem Haus der Organisation. In dieser Zeit entstanden kostbare Freundschaften - mit den Menschen des Viertels und mit den anderen Freiwilligen.
Karlita
Eine besondere Freundschaft verbindet mich mit unserer siebenjährigen Nachbarin Karlita. Nachdem ihre Mutter nach Guatemala ausgewandert ist, wohnt sie bei ihrer Großtante, die sich um sie kümmert, so gut sie kann.
Karlita ist hübsch, aufgeweckt und sehr schlau. Sie weiß soziale Mechanismen gut einzuschätzen und für sich zu nutzen – z. B. wenn sie Erwachsene manipuliert, um zu hören oder zu bekommen, was sie will. Oft muss man hartnäckig sein, um ihr nicht alles durchgehen zu lassen, und z. B. darauf bestehen, dass sie nach dem Spielen zusammen mit den anderen Kindern aufräumt.
Mehrmals täglich kommt Karlita vorbei, um zu schauen, ob wir da sind, ob wir vielleicht Zeit haben Memory zu spielen, oder ob sie uns bei irgendetwas helfen kann. Wenn wir nicht da sind oder beschäftigt sind, sitzt sie vor der Tür und wartet. Der Hauptgrund für diese Treue ist aber nicht Langeweile, sondern echte Freundschaft.
Einmal war sie nach einem gemeinsamen Ausflug außerhalb des Viertels (mit der Großtante und dem kleinen Cousin) auf der Rückfahrt im Bus vor Erschöpfung eingeschlafen. Als wir aussteigen mussten, nahm ich sie auf die Arme, um sie den Weg ins Viertel zu tragen. Nach ein paar Schritten erwachte sie, stellte sich aber schlafend, um weiter getragen zu werden. Ich spielte mit und trug sie bis zum Haus ihrer Großtante. Es hat mich sehr bewegt, den Durst eines verwaisten Kindes nach Aufmerksamkeit und Freundschaft, nach väterlicher und mütterlicher Gegenwart zu spüren, der sich hinter der sonst selbstbewussten und zielstrebigen Erscheinung der kleinen Karlita verbirgt.
Es waren solche Momente, die mir die Bedeutung unserer Gegenwart für die Kinder des Viertels bewusst gemacht und meinen Blick auf das Wesentliche des Lebens geprägt haben.
Schulvorträge
Seit meiner Rückkehr aus El Salvador im vergangenen Jahr engagiere ich mich gemeinsam mit anderen ehemaligen Freiwilligen für die Bekanntmachung der Erfahrung von Offenes Herz in Deutschland: Wir organisieren Info-Wochen, in denen wir den Freiwilligendienst an den verschiedenen Schulen einer Region vorstellen, vom Leben im Armenviertel berichten und Fotos zeigen. Die Konfrontation mit konkreten Erfahrungen stößt bei den Schülern interessante Diskussionen über Themen wie Leid, Einsamkeit oder den Sinn des menschlichen Lebens an. Es beeindruckt uns immer wieder, wie sehr sich die Jugendlichen angesprochen fühlen und mit welcher Ernsthaftigkeit sie sich beteiligen, sobald sie den Eindruck haben, dass sie etwas persönlich angeht – weil es „mit dem Leben zu tun hat“.
Diese einfachen Begegnungen mit den Schülern ermutigen uns und sind das wesentliche Ziel unseres Engagements. Auf diese Weise führen wir fort, was wir im Freiwilligendienst gelebt haben, und wir sind überzeugt, dass wir damit einen wertvollen Beitrag zur Bildung einer menschlicheren Gesellschaft leisten.
Autor: Leo von Jagwitz.
Fotos: Offenes Herz e.V.