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Was uns die Schweiz über Nachhaltigkeit lehrt – Regionaltag Süd 2019 in Zürich

Der globale Bedarf an Nahrung, Energie und anderen Konsumgütern steigt stetig. Um diesen langfristig zu decken, ist ein verantwortungsvoller Umgang mit vorhandenen Ressourcen daher unabdinglich. In dieser Hinsicht gilt die Schweiz in vielen Bereichen als Vorreiter.

 

Aus diesem Grund haben sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Referatsgebiet Süd (u.a. Tübingen, Stuttgart, Bodensee, Italien, Schweiz) am 25. Mai 2019 in Zürich getroffen und sich kritisch mit regionsbezogenen Nachhaltigkeitskonzepten und gesellschaftspolitischen Hintergründen auseinandergesetzt. In Diskussionen und zwei daran anknüpfenden Arbeitsgruppen wurde herausgearbeitet, was Deutschland von seinem Nachbarn, dem „Weltmeister der Nachhaltigkeit“, lernen und welchen Beitrag jeder einzelne in dieser Entwicklung leisten kann. Mit der Auswahl des Themas vor einem Jahr wurde für den Regionaltag im Rahmen des Jahresmottos der Konrad-Adenauer-Stiftung „Deutschland. Das nächste Kapitel“ einen Nerv getroffen. Demonstrationen wie „Fridays for Future“ sowie der Zulauf grüner Parteien in vielen Staaten Europas belegen aktuell eindrucksvoll, wie wichtig die Thematik nicht nur für die Umwelt selbst sondern auch für die Gesellschaft ist.

 

Mit gutem  Beispiel vorangehen

Geladen waren Experten aus Wirtschaft und Forschung, die mit ihren jahrelangen Erfahrungen wertvolle Einschätzungen zu Konsequenzen und Maßnahmen für eine umweltfreundlichere Zukunft geben konnten. Rika Schneider (Äss-Bar Zürich), Prof. Dr. Michael von Kutzschenbach (Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW), Hanspeter Hösli (InnoRecycling AG) und Ueli Ansorge (Pflanzplatz Dunkelhölzli) diskutierten dabei im Podium unter Moderation von Altstipendiatin Fabienne Kinzelmann.

 

Rika Schneider sammelt mit der Äss-Bar GmbH in Zusammenarbeit mit lokalen Bäckereien in Zürich deren übrig gebliebene Backwaren und verkauft sie am nächsten Tag „frisch von gestern“ zu reduzierten Preisen. Damit treten sie und ihr Team einer Gesellschaft entgegen, die heutzutage immer noch zu viele Lebensmittel wegschmeißt. Laut WWF kommen dabei allein in der Schweiz jährlich rund zwei Millionen Tonnen zusammen. Die Äss-Bar hingegen hat 2016 durch ihre Arbeit bereits 300 Tonnen Food Waste verhindern können. Dass Essen von gestern weiterhin sehr schmackhaft sein kann, zeigte sich in den positiven Reaktionen der Teilnehmenden am Regionaltag: Sowohl die Auswahl an Sandwiches und herzhaften Stücken zum Mittag als auch das Kuchenbuffet zum Kaffee bestanden allesamt aus Backwaren der Äss-Bar vom Vortag.

 

Prof. Dr. Michael von Kutzschenbach forscht und lehrt in Basel und Freiburg im Breisgau in den Bereichen Unternehmensführung und Nachhaltigkeit. Er sieht viele Vorteile in digitalen Geschäftsmodellen und bemängelt, dass es für die Umsetzung weitreichender Nachhaltigkeitskonzepte in Unternehmen häufig an der Bereitschaft zu experimentieren und finanzielle Risiken einzugehen fehle. Es sei dabei stets wichtig, umweltfreundliche Lösungsansätze immer systemisch, also im globalen Kontext zu betrachten. Vor Ort nachhaltig zu produzieren und zu arbeiten sei gut. Wenn dazu aber Waren aus dem Ausland mit einem wesentlich höheren ökologischen Fußabdruck importiert werden, wird sich das Problem stets nur verlagern. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit sei daher elementar.

 

Mehr Zusammenarbeit wünscht sich auch Ueli Ansorge, der am Pflanzplatz Dunkelhölzli solidarische Landwirtschaft betreibt. Die Gemeinschaft am Zürcher Stadtrand bewirtschaftet Ackerflächen auf denen eigenes Gemüse angebaut und anschließend unter allen Mitgliedern aufgeteilt wird. Solidarische Landwirtschaft beruht auf aktiver Mitarbeit der Teilhaber und hat durch deren jährlich im Frühjahr stattfindende Bestellungen den Vorteil, dass nur so viel angebaut wie letztlich auch verbraucht wird. Zudem bieten sich Vorteile durch örtliche Nähe zum Verbraucher und Transparenz in der Bewirtschaftung.

Die Anlagen der Firma InnoRecycling AG, für die Hanspeter Hösli arbeitet, kümmert sich darum, dass der Wertstoffabfall der Schweiz ordnungsgemäß getrennt und rezykliert wird. Verbundmaterialien werden dabei zurück in ihre Komponenten zerlegt oder eingesammelte Kunststoffe zum Beispiel als Granulat für die Herstellung neuer Plastikprodukte zur Verfügung gestellt. Viel zu häufig würden Abfallprodukte in der Schweiz aber einfach thermisch verwertet, sprich verbrannt. Im Gegensatz zu Deutschland wird hier nur sehr wenig Plastik vom restlichen Abfall getrennt und wiederverwendet. Hösli sieht die Schweiz daher nicht als Nachhaltigkeitsweltmeister an. PET-Flaschen, die in der Schweiz pfandfrei sind, werden zwar separat gesammelt und rezykliert. Einen gelben Sack, der Recyclingprodukte vom restlichen Haushaltsmüll trennt, gibt es flächendeckend jedoch nicht. Hösli beklagt dabei zu starke interessensgetriebene Lobbyarbeit der Verbrennungsindustrie und fordert mehr Sachlichkeit in der Frage, wie nachhaltige Abfallwirtschaft umgesetzt werden kann.

 

Unabhängig davon, wie nachhaltig die Referenten die Schweiz einschätzen, einig sind sie sich darüber, dass es im ganzen Land bereits Konzepte und Ansätze gibt, die sehr gut funktionieren. Die Bedeutung von ökologischer Nachhaltigkeit sei in der Gesellschaft stark verankert. Beispielsweise sind die Lebensmittelstandards für viele Produkte aus der Schweiz bereits wesentlich höher als in Deutschland. Bio- und Lokalprodukte werden stark nachgefragt und auch die Mehrkosten dafür toleriert. Speziell in Zürich sei das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Umweltschutz merklich sichtbar.

 

Gesellschaftliche Treiber und Hemmnisse für Nachhaltigkeit

Wieso ist das Thema Nachhaltigkeit in Zürich nun aber bereits gesellschaftlich stark verankert, während es in Deutschland vielerorts noch Nachholbedarf gibt? Wie sieht eine gemeinsame Zukunft aus und was kann jeder zur Nachhaltigkeit beitragen? Um diese Fragen zu beantworten, wurden in einem Workshop unter Leitung von Prof. von Kutzschenbach die gesellschaftlichen Werte und etablierten Strukturen sowie die persönlichen Motivationen für Veränderungen herausgearbeitet. In Kleingruppen wurden dabei zahlreiche Fragen aufgeworfen, offen analysiert und die Ergebnisse im Austausch mit den anderen Gruppen diskutiert. Immer wieder stellte sich dabei heraus, dass finanzielle Mittel einen wesentlichen Faktor für Erfolg und Misserfolg von umweltfreundlichen Lösungen darstellen. Erneuerbare Energien, eine veränderte Mobilität und eine ökologische Ernährung ziehen zurzeit noch höhere Kosten nach sich als es konventionelle Alternativen tun. Dennoch sei es unabdingbar, nachhaltige Produkte immer stärker zu nutzen und umweltschädliche Alternativen weiter einzuschränken oder gegebenenfalls sogar zu verbieten (zum Beispiel Inlandsfüge). Allen ist jedoch klar, dass sich das nicht von jetzt auf gleich umsetzen lässt.

Zu stark beruht die Gesellschaft noch auf den Vorteilen konventioneller Produkte.

 

Daher konnte auch keiner eine verlässliche Zukunftsprognose darüber abgeben, auf welchem Stand sich die Gesellschaft und insbesondere er/ sie persönlich sich selber in zehn Jahren befindet. Hoffnung geben hierbei allerdings die vielen guten technischen Lösungsansätze, die bereits existieren und mit den Zukunftsvorstellungen vieler einhergehen. Ein radikaler Wandel wird daher weniger erwartet, eher ein stetiger Prozess. Aber keiner weiß, was in der heutigen schnelllebigen Zeit noch alles passieren wird.

 

„80% des Siedlungsabfalls sind Wertstoffe“

Einen der Lösungswege kennt Hanspeter Hösli genau: Weg von einer Wegwerfgesellschaft und hin zu mehr Wiederverwendung und Recycling. Mit seinem Hinweis, dass 80% des Siedlungsabfalls in der Schweiz Wertstoffe sind, hat er in einer Arbeitsgruppe mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten die Handlungsmöglichkeiten der Abfallwirtschaft diskutiert. Aktuell würde in der Schweiz nur ein sehr geringer Anteil Plastik wiederverwendet. Mit seiner Firma strebt Hösli daher nach einem Prinzip, das ähnlich wie der gelbe Sack in Deutschland für Recyclingprodukte funktioniert. In einem separaten Abfallsack sollen Haushalte in der Schweiz ihren Plastikmüll sammeln, der anschließend zu Granulat verarbeitet und damit für die Wiederverwendung zur Verfügung gestellt wird. Nachteil der Granulierung ist allerdings, dass sich die technischen Eigenschaften des Plastiks durch diesen Prozess verschlechtern. Kunststoffe lassen sich also nicht endlos rezyklieren. Für die Arbeitsgruppe steht dennoch fest, dass dieses Verfahren einen wichtigen Beitrag dazu leistet, die Recyclingquoten von Kunststoffen zu erhöhen. Diese ist für den nachhaltigen Umgang mit Plastik enorm wichtig. Vielerorts müssen sich die gesellschaftlichen und politischen Strukturen hierfür allerdings erst noch ändern. Deshalb ist es elementar, dass engagierte Bürger mit ihrem Wissen vorangehen, fachgerecht ihren Müll trennen und weitere Verbraucher aufklären. Unter Druck der Verbraucher können Fortschritte erreicht werden.

 

Ausklang und Fazit

Neben den vielen lebhaften Diskussionsrunden konnten sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten im Anschluss zudem noch weiter davon überzeugen, weshalb Zürich nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit zu einen der lebenswertesten Städte der Welt zählt: Die von den Konstipendiaten der Zürcher KAS-Hochschulgruppe geleiteten Führungen durch die Stadt gaben weitere Möglichkeiten zum gegenseitigen Austausch. Fehlen durfte dabei natürlich auch nicht eine Fahrt mit einer der vielen typischen Bergbahnen, die ihre Passagiere bereits seit Jahrzehnten klimafreundlich auf einen der umliegenden Hügel bringen. Im Anschluss bestand zudem die Möglichkeit, den Abend beim landestypischen Fondue gemeinsam ausklingen zu lassen.

 

Sowohl Teilnehmende als auch Referenten waren neben der inhaltlichen Zusammenstellung vor allem von der Dynamik des Regionaltages sehr begeistert und lobten den lebhaften Ideen- und Meinungsaustausch mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie ihren Tatendrang. Es besteht dadurch Grund zur Hoffnung, dass der Tag nachhaltig in den Köpfen der Anwesenden hängen bleibt. Erste anknüpfende Veranstaltungen sind bereits beschlossen…

 

Die Hochschulgruppe Zürich bedankt sich bei allen Teilnehmenden und insbesondere bei der Katholischen Hochschulgemeinde Zürich (aki) für die Verfügungsstellung ihrer Räumlichkeiten.


Autor: Nik Zielonka ist Stipendiatensprecher in Zürich und studiert dort an der ETH Maschineningenieurwissenschaften

 

Fotos: Jan-Marc Kartenbender, Nik Zielonka