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„Überlassen Sie die Demokratie nicht den anderen“

Am Dienstagabend um 18.30 Uhr war es endlich soweit: Über 100 KAS-Stipendiaten aus ganz München waren online und in Präsenz in den Räumlichkeiten der LMU zusammengekommen. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Dr. h.c. mult. Charlotte Knobloch, war zu einem Zeitzeugengespräch eingeladen worden. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Münchener KAS-Stipendiatin und Gruppensprecherin Nurja Graf.

 

Im Rahmen des Vortrags gab die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden Einblicke in ihre Biografie. Um der nationalsozialistischen Verfolgung zu entgehen, versteckte sich Knobloch bis Kriegsende bei Kreszentia Hummel, der ehemaligen Haushälterin ihres Onkels, auf einem Bauernhof im mittelfränkischen Arberg. Sie lebte fortan in ständiger Angst. „Wenn meine wahre Identität bekannt geworden wäre, hätte das den Tod nicht nur für mich, sondern auch für meine Retter bedeutet“, so Knobloch. In diesen Jahren sei sie mit ihrer Angst, ihrem Heimweh und der Ungewissheit alleingeblieben. Mit ihrer Familie hatte sie keinen Kontakt gehabt. „Ich wusste nicht einmal, ob mein Vater oder meine Großmutter noch lebten“, merkte sie an. Nach Kriegsende sei zumindest ihr Vater wieder in ihr Leben getreten: „Er hatte als Zwangsarbeiter schwer gezeichnet überlebt und holte mich – gegen meinen Willen – so schnell er konnte nach München zurück“. Knoblochs Großmutter wurde im Sommer 1942 im Rahmen eines „Kinder- und Altentransportes“ deportiert. Ihrer damals neunjährigen Enkelin sagte sie, sie würde „zur Kur“ fahren. Im Januar 1944 wurde sie im KZ Theresienstadt ermordet.

 

 

Nach Kriegsende blieb Knobloch schweren Herzens in der noch jungen Bundesrepublik. Eine Auswanderung mit kleinen Kindern kam zunächst nicht in Frage. Der Plan, mit ihrer Familie in die USA auszuwandern, wurde immer wieder verschoben. Knobloch blieb schließlich in der Bundesrepublik und begann hier im Rahmen vielfältiger Engagements einen wertvollen Beitrag zur Erinnerungskultur und zum Aufbau der jüdischen Gemeinschaft zu leisten. Als Vize-Präsidentin des Europäischen Jüdischen Kongresses und Vize-Präsidentin des Jüdischen Weltkongresses setzte sie sich später gegen Antisemitismus und für Völkerverständigung ein. Für ihre Verdienste wurde sie mit der höchsten zivilen Auszeichnung des Landes, dem Großen Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, geehrt.

 

 

 

In der anschließenden Fragerunde rief sie angesichts des zunehmenden Rechtspopulismus und Judenhasses zu Wachsamkeit und einem gesunden Patriotismus auf. Denn wer selbstbewusst für etwas einstehen wolle, der brauche auch Selbstbewusstsein. Und wer die Demokratie verteidigen wolle, der müsse das mit Stolz tun – oder gar nicht. Der müsse, so Knobloch weiter, zu diesem Land stehen, und der dürfe auch die Symbole unseres Staates wie die schwarz-rot-goldene Flagge nicht den antibürgerlichen und im schlimmsten Sinne „un-deutschen Kräften“ rechtsaußen überlassen. Sie merkte jedoch an, dass echter Patriotismus alles andere als ein Freibrief für Selbstherrlichkeit sei. Ganz im Gegenteil, er sei eine große, gemeinsame Verantwortung: „Nur, wenn wir sie auch annehmen, können wir unser Land so erhalten, wie wir es heute kennen“, mahnte Knobloch.  Mehr denn je sei es nun an der heutigen jungen Generation im Rahmen ehrenamtlichen oder politischen Engagements Verantwortung zu übernehmen und eine Zukunft frei von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu gestalten.

 

 

Der Auftrag ist klar: „Wachsam sein, hinsehen, den eigenen Verstand benutzen und sich ein Herz bewahren, das sich anrühren lässt. Halten Sie die Erinnerung an die Vergangenheit wach und bauen Sie unserer Gegenwart eine Zukunft. Seien Sie stolz auf Ihr Land – und tun Sie, was Sie können, damit auch andere stolz darauf sein können.“