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Von NS-Architektur zu einem Ort der Kunst: Die kontroverse Transformation der Nürnberger Kongresshalle

Wie gehen wir mit gebauten Zeitzeugen unserer Vergangenheit um? Welche Verantwortung besitzen wir als Gesellschaft im Umgang mit unserem historischen Erbe?

Diesen Fragen widmet sich seit Jahrzehnten das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Aus seiner historischen Bedeutung zur Zeit des Kaiserreichs wollte das Nazi-Regime Nürnberg als Stadt der Reichsparteitage eine zentrale Rolle im Dritten Reich zukommen lassen. Geplant wurde das Reichsparteitagsgelände: Ein Areal, das mehrere Großbauten zur Machtinszenierung enthalten sollte. Zu den bekanntesten der nie fertiggestellten Gebäude zählen die Zeppelintribüne, die Große Straße, das Deutsche Stadion und die Kongresshalle. Alles Bauten der Superlative, die in ihren Dimensionen den Bezug zum menschlichen Maß verlassen und gebauter Ausdruck der Macht des Regimes sein sollten.

Die nie fertig gestellte Kongresshalle liegt seit einigen Jahren im kulturellen Diskurs-Fokus der Stadt Nürnberg und der Kulturschaffenden. Ausgangspunkt der Kontroverse ist das dem Gebäude eingeschriebene Narrativ, das als gebaute Erinnerungskultur seine Wirksamkeit entfaltet: Von außen ist die Fassade fertiggestellt, im Innenhof des hufeisenförmigen Baus ist jedoch die unvollendete Bausubstanz zu sehen, die symbolischer Ausdruck des Scheiterns des Dritten Reichs ist. Maßnahmen, die in vergangenen Jahren die Aktivierung des Innenhofs und des leerstehenden Gebäudes und damit dessen Umgestaltung vorschlugen, wurden aufgrund dieses Narratives nie realisiert. Mit einem Beschluss des Stadtrates am 20. Juli 2024 soll sich diese Unberührtheit jedoch ändern. Aufgrund von Umbau- und Instandhaltungsmaßnahmen am Nürnberger Opernhaus, muss eine Interimspielstätte für Oper, Theater und Ballett gefunden werden, die im Innenhof der Kongresshalle umgesetzt werden soll. Diese Festlegung führte zu kontroversen Diskussionen, die sich mit der Frage beschäftigten: Darf man einen Kulturort in das Innere eines ehemaligen Nazi-Gebäudes stellen, das wie kein anderes als Mahnmal für nationalsozialistisches Gedankengut steht?

Diese Frage war der Ausgangspunkt für die HSG Nürnberg und Erlangen, das Gebäude zu besichtigen und mit den Kommunikationsbeauftragten der Stadt Nürnberg des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes Frau Wiedemann und Herrn Vogel Licht in das Dickicht der jahrelangen Diskussion zu bringen.

Hierfür ist es notwendig, den Blick für den Kontext zu weiten, in dem das Opern-„Interim“ entstehen soll. 2019 bewarb sich Nürnberg um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2025“. Diese Bewerbung beförderte Projekte und Ideen der Kulturszene Nürnbergs. Unter anderem war die Nutzbarmachung des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes und somit der Kongresshalle ein zentrales Projekt, das sich mit möglichen Perspektiven einer kulturellen Aktivierung beschäftigte. Nachdem Nürnberg nicht zur Kulturhauptstadt 2025 gewählt wurde, versandeten viele aus dem Bewerbungsprozess entstandene Projekte. Nicht so die Idee der kulturellen Nutzbarmachung der Kongresshalle. Schon seit mehreren Jahren sind die Nürnberger Symphoniker in einem Teil der Halle untergebracht, nun soll der gesamte Bau kulturell aktiviert werden, indem neben der Spielstätte für das Staatstheater Nürnberg Ermöglichungsräume für Kunst und Kultur entstehen. Aus der Interimspielstätte ist eine dauerhafte Nutzung des Neubaus in Form einer Symbiose mit den Ermöglichungsräumen hervorgegangen. Die Idee ist es, der Kulturszene Nürnbergs, die seit Jahren mit einem Flächenmangel zu kämpfen hat, Räume zur Verfügung zu stellen und diese barrierefrei mit den Räumlichkeiten des Staatstheaters Nürnberg zu verknüpfen, sodass Austausch und gemeinsame Projekte entstehen können.

Die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung konnten sich am 05. August 2024 durch einen Rundgang über das Gelände, begleitet von einem Vortrag und intensiven Diskussionen, ein eigenes Bild der aktuellen Diskussion verschaffen. So war die Besichtigung der Kongresshalle eine wesentliche Erfahrung, bei der man am eigenen Körper die Größe und Monumentalität des Bauwerkes nachspüren konnte. Dabei wurde schnell klar: Über die Verantwortung, die wir historisch mit uns tragen, lässt sich viel diskutieren, es ist jedoch etwas anderes, wenn man sie am eigenen Körper erfährt. Und kaum ein anderer Ort vermag diese Verantwortung so eindrücklich zu vermitteln wie die Kongresshalle. Inmitten der Räumlichkeiten des 500 m langen Gebäudes breitet sich das Gefühl in einem aus, als Individuum klein und irrelevant zu sein. Nur an wenigen Orten kann noch auf diese Weise erfahren und nachvollzogen werden, wie manipulativ im Nationalsozialismus auch baulich vorgegangen wurde. Daher ist es ohne Zweifel legitim, Orte wie die Kongresshalle in ihrer unveränderten Form und damit das bereits genannte symbolische Narrativ zu erhalten. In der Diskussion hat sich dazu die Frage gestellt, ob die warnende Aufgabe nicht zwangsläufig an gebaute Zeitzeugen übergeben werden muss, wenn es keine lebenden Zeitzeugen mehr gibt.

Ebenso wurden weitere Umstände der Realität beleuchtet, die ein Handeln erfordern, das eine bauliche sowie nutzungsorientierte Transformation des Gebäudes bedingen. Enorme Instandhaltungskosten und steigender Flächenbedarf lassen den Leerstand des Gebäudes ungerechtfertigt erschienen. Aktivierungskonzepte mithilfe Kunst- und Kulturschaffender, wie sie die Bewerbung Nürnbergs zur Kulturhauptstadt 2025 hervorbrachte, erschienen als erfolgversprechender Lösungsansatz. Ist es doch so, dass den Künsten im Rahmen kultureller Bildung eine ganz besondere Rolle zukommt: Sie adressieren gesellschaftlich relevante Themen, bewahren Erinnerungen und beschreiten neue Wege. Ist es aus diesem Grund nicht passend, genau dieser treibenden Kraft unserer Gesellschaft einen so vorbelasteten Ort zur Verfügung zu stellen, um ihn einerseits zu bewahren und andererseits zu transformieren? Die Kunst der Synthese aus gebauter Erinnerungskultur und Raumschaffung für Kunst- und Kulturschaffende bleibt daher ‚nur’ ihre räumliche Ausarbeitung. Hierfür gaben sich Architektinnen und Architekten aus ganz Europa die größte Mühe, um den baulichen Rahmen für eine gelingende Symbiose zu setzen. Geplant ist ein Eingriff, der hochsensibel mit dem Bestandsgebäude umgeht, sich diesem unterordnet und so versucht den verantwortungsbewussten Umgang mit dem historischen Erbe und die Bedürfnisse der Kulturschaffenden in Einklang zu bringen. Ob das Projekt gelingen kann, wird erst nach dessen Fertigstellung zu beurteilen sein.

Die Veranstaltung hat gezeigt, wie schwierig es sein kann, divergierenden Bedürfnissen an einem geschichtlich intensiv belasteten Ort gerecht zu werden. Sie zeigt auch, dass wir fünf Generationen nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes immer noch nicht der Aufgabe entwachsen sind, Aufklärungsarbeit zu leisten. Offen bleibt: Darf sich diese generationenübergreifende Aufgabe transformieren und wenn ja, in welcher Form?

 

 

Autorin: Franziska Kopf (Hochschulgruppe Nürnberg)

 

 

Bilder: Cara Bettendorf (Sprecherin der Hochschulgruppe Nürnberg)

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