Nach Israel zu gehen, war eine Bauchentscheidung. Schon etwas mehr als ein Jahr vorher hatte ich einen kleinen Stapel Praktikumsbewerbungen für die meiner Meinung nach coolsten KAS-Büros auf allen Kontinenten geschrieben, meine Favoriten: Kapstadt, Tokio und London. Dann die Zusage für Jerusalem, und meine Reaktion: „Weiß nicht ob ich da hingehen soll, eigentlich finde ich Israel nicht so spannend.“ Selten habe ich so danebengelegen.
Im Mai bin ich nach Israel aufgebrochen, um dort ein zweimonatiges Praktikum im Büro der KAS zu absolvieren. Tatsächlich ist das Büro in Jerusalem eines der bekanntesten. Die besonderen Beziehungen zu Israel, der Nahost-Konflikt, all das macht den Standort Jerusalem besonders interessant. Und plötzlich war ich mittendrin. Am Puls des Politgeschehens gestaltet die KAS deutsch-israelische Beziehungen. Konferenzen, Veranstaltungsberichte, der Länderbericht zur aktuellen Lage in Israel, Teammeetings und Briefings von Delegationen. Das Büro besteht aus einem bunten Team von Projektmanagern unter der Leitung von einem Trainee aus Berlin und dem Büroleiter. Die Projektmanager sind für unterschiedliche Themenbereiche zuständig, immer unter der Leitfrage: Wie bringen wir Deutschland den Israelis und Israel den Deutschen näher? Als Praktikantin war ich vor allem für den wöchentlichen Pressespiegel zuständig, weshalb ich jeden Tag mindestens zwei Stunden Zeitung gelesen habe. So viel lese ich noch nicht mal in Deutschland. Daneben immer wieder Recherchearbeiten und natürlich die Vorbereitung von Konferenzen, sodass ich innerhalb kürzester Zeit tief in israelischer Politik steckte. Keine Frage: es gibt keine bessere Möglichkeit, die Politik eines Landes kennen zu lernen, als bei der KAS!
Und Israel? Israel ist eines der spannendsten Länder schlechthin. Mit der Arroganz einer Politikstudentin („Der Nahost-Konflikt? Hatte ich schon in drei Seminaren und der Einführungsvorlesung!“) dachte ich, ich wüsste bereits alles. Jeden Tag habe ich gemerkt, wie wenig ich eigentlich über das Land weiß. Und am Ende hatte ich viel mehr Fragen als am Anfang. Israel besteht aus viel mehr als bloß dem Nahostkonflikt. Trotzdem werden wichtige Debatten immer wieder von dem einem Thema überschattet. Eigentlich müsste Israel viel mehr über den Charakter eines jüdischen Staates, soziale Gerechtigkeit und Bildung diskutieren. Und so spannend die Politik ist, so aufreibend kann auch der Alltag sein. Es gibt unzählige Kleinigkeiten, die einfach nur zum Haareraufen sind und das Leben aufwändig machen. Angefangen bei der faktischen Teilung Jerusalems in den arabischen und den jüdischen Teil. Kein Taxi oder Bus fährt einen von der jüdischen Downtown hoch auf den arabischen Ölberg (auf dem ich gewohnt habe). Erst recht nicht nach dem Feiern nachts um zwei. Für viele Ausländer sicher am frustrierendsten ist der Shabbat, der insbesondere in Jerusalem streng von Freitagnachmittag bis Samstagabend gehalten wird. So fahren Straßenbahn und Busse von Freitagnachmittag bin Samstagabend um acht, halb neun nicht. Geschäfte und Restaurants sind geschlossen. Insbesondere verpeilte Menschen kann das durchaus mal an den Rand des Hungertodes bringen, wenn man schon wieder vergessen hatte rechtzeitig einkaufen zu gehen. Hinzu kam in meinem muslimischen Viertel der Ramadan, in den jüdischen Vierteln dann die große Zahl jüdischer Feiertage. Das große Glück ist, dass an jedem jüdischen Feiertag ein arabisches Geschäft offen hat und umgekehrt.

Zum Abschluss noch etwas Nachdenkliches: Wie aufgeladen das tägliche Leben von Religion, Identität und Mentalität ist, hat mich überrascht. Wie ernst Symbolik und Brauchtum genommen werden, ruft bei mir teilweise immer noch Unverständnis hervor. Wer dazu ein Beispiel nachlesen möchte, sollte sich unbedingt den Länderbericht der KAS Israel zur Tempelbergkrise herunterladen (http://www.kas.de/israel/de/publications/49913/). Zu der Zeit der Spannungen ist mir das erste Mal bewusst geworden, wie fragil die Stabilität des Alltags eigentlich ist. Und auch, dass wir Deutschen oftmals verkennen, wie wenig wir die Leute vor Ort eigentlich verstehen. Vor allem aber, dass die Komplexität Israels mit mehr als 4000 Kilometer Abstand wirklich schwer nur zu erfassen ist.
Hilft nur eins: selbst hinfahren!
Die Autorin: Alice Jacobi studiert European Studies mit politikwissenschaftlichem Schwerpunkt an der Uni in Passau und hat im August 2017 ein Praktikum bei der Konrad-Adenauer Stiftung in Jerusalem gemacht.